Wenn beim Bau der Reichsautobahnen ab 1934 (vorerst) nur an einer Richtungsfahrbahn eine Raststätte erbaut wurde, ermöglichten ein Zwangsweg, eine Fußgängerbrücke oder eine Fahrbahnunterführung den Rastenden, auf die andere Autobahnseite zu gelangen. Mit der starken Zunahme des Verkehrs auf den Autobahnen nach 1945 war der Weg zu Fuß über die Autobahn zu gefährlich geworden und es wurden weitere Fußgängerbrücken errichtet. Nebenstehende Abbildung aus einer Dokumentation von 1960 des Archivs des Brandenburgischen Autobahnamtes in Stolpe zeigt eine typische Situation an vielen Raststätten, insbesondere auf dem Gebiet der DDR. Eine erste Meldung über den beabsichtigten Neubau von Fußgängerbrücken in der DDR findet sich im Mitteilungsblatt des Staatlichen Straßenunterhaltungsbetriebes Autobahnen Halle »Unsere Autobahnen«, einer Art Betriebszeitung. In der Ausgabe Nr. 9 vom 2. November 1972, Seite 6 wird darüber berichtet, dass die Reichsbahn-Stahlbauer aus Dessau nicht nur Brücken aller Art und in allen Bezirken "unserer" Republik reparieren und rekonstruieren. Sie bauten beispielsweise die Brücken am Autobahnzubringer Halle-Peißen und montierten die Fußgängerbrücke am Leipziger Friedrich-Engels-Platz. In Zukunft, so steht es auf ihrem Plan, werden sie Fußgängerbrücken an wichtigen Autobahn-Raststätten bauen. Die erste Brücke ist im I. Quartal 1973 an der Raststätte Köckern vorgesehen. "Später" erhalten auch die Raststätten Michendorf, Niemegk, Freienhufen und Teufelstalbrücke solche Fußgängerbrücken aus Dessau. Einen Tunnel, um zu Fuß zwischen den Richtungsfahrbahnen nach Berlin bzw. nach München wechseln zu können, gab es beispielsweise am Rasthof Hermsdorfer Kreuz (heute BAB A9). Fußgängertunnel des Rasthofes Hermsdorfer Kreuz, © H. Schneider, 2010 Die Raststätten Michendorf und Köckern an den Transitautobahnen von Berlin nach der Bundesrepublik erhielten 1973 Fußgängerbrücken. Der Bau war eine unmittelbare Folge der Erfüllung des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über den Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) vom 17. Dezember 1971. Die Brücken ermöglichten es Transitreisenden in den anfangs provisorisch eingerichteten, später in extra neu errichteten Gebäuden des DDR-Unternehmens "Intershop", Waren gegen Deutsche Mark einzukaufen. In Köckern bestand zudem nur an der Richtungsfahrbahn München ein Raststättengebäude. Das links stehende Bild ist eine Seite aus der DDR-Zeitschift "Der deutsche Straßenverkehr". Das Oktoberheft des Jahres 1973 zeigt die Michendorfer Brücke und gibt als Zeitpunkt der Fertigstellung Pfingsten 1973 an. In jenem Jahr fiel das Pfingstfest auf den 10. und 11. Juni. Das Bild ist unterschrieben mit dem Text: Nachdem an der Raststätte Michendorf (unser Foto) die Fußgängerbrücke über die Autobahn bereits zu Pfingsten übergeben werden konnte, spannt sich an der Raststätte Köckern die gleiche Stahlkonstruktion über die Autobahn. ...." Nachstehend wiedergegebene Luftaufnahmen von 1975 des bekannten Luftbildners Lothar Willmann zeigen die Brücke aus zwei verschiedenen Perspektiven. |
Bild 1: © Lothar Willmann, 1975 Bild 2: © Lothar Willmann, 1975
Die zweite Michendorfer Fußgängerbrücke Am 23. März 1977 erging an den Auftragnehmer VEB Entwurfs- und Ingenieurbüro des Straßenwesens, Betriebsteil Berlin, unter der Nummer 21 069 / 27 der Auftrag des Autobahn-Aufsichtsamtes als Auftraggeber zur Realisierung des Projekts "Fußgängerüberführung über die Autobahn an der Raststätte Michendorf". Der Auftrag war Bestandteil des künftigen 6streifigen Ausbaus des Berliner Rings zwischen den Abzweigungen Leipzig1 und Drewitz2 und somit eine unmittelbare Folge des Briefwechsel vom 19. Dezember 1975 zwischen der DDR und der BRD. Darin wurde Übereinstimmung erzielt, dass die DDR innerhalb von 4 Jahren, beginnend mit dem 2. Januar 1976, die Autobahn Marienborn - Berlin von Grund auf erneuert und ein Teilstück des Berliner Rings zwischen den Abzweigen Leipzig und Drewitz neben der Erneuerung auf 6 Spuren verbreitert wird. Wegen dieser Querschnittsverbreiterung reichte die Länge der vorhandenen Brücke künftig nicht mehr aus. Die alte (erste) Fußgängerbrücke stand westlich der neben den Fahrbahnen befindlichen nördlichen und südlichen Tankstellenüberdachungen. Der Neubau sollte ca. 8 m östlich von ihr errichtet werden und sie ersetzen. Die Enden der erste Brücke ruhten auf jeweils einem Widerlager. Pendelstützen im Bereich der Trennstreifen zwischen der jeweilig rechten Fahrbahn und der Durchfahrtsspur im Tankstellenbereich nahmen die Last der Brücke auf, sodass die Autobahn dreifeldrig überspannt wurde. Der Abstand der neuen zur alten Brücke war mit 8 m so bemessen, dass es auf der Südseite erforderlich war, die in Richtung Ost hinabführende Treppe zu entfernen. Um jedoch die weitere Benutzbarkeit bis zur Übergabe der neuen Brücke zu gewährleisten, wurde eine Hilftreppe auf der Westseite des Überbaus installiert. Als Abstützung wurde bei der neuen Brücke eine dritte Pendelstütze im Mittelstreifen zwischen den Richtungsfahrbahnen vorgesehen. Die zweite Michendorfer Fußgängerbrücke tat bis 1996 ihren Dienst. Gleich nach der politischen Wende in der DDR, als die beiden Teile Deutschlands begannen zusammenzuwachsen und damit das Verkehrsaufkommen im Michendorfer Bereich der BAB A10 eine nie gekannte Größe erreichte, war die Brücke einer umfassenden Instandsetzung und Ertüchtigung unterzogen worden. Doch in den Jahren bis 1996 zeichnete sich immer mehr ab, dass der Berliner Ring zwischen den Dreiecken Nuthetal (Abzweig der BAB A115) und Potsdam (Abzweig der BAB A9) mit 3 Fahrspuren je Richtungsfahrbahn dem Strom des Kraftverkehrs nicht mehr gewachsen war. Zudem hatte sich die ursprüngliche Funktion der Fußgängerbrücke durch den Neubau von leistungsfähigen Tank- und Rastanlagen an jeder Seite der Autobahn erübrigt. Für Ende des Jahres 1996 waren deshalb der ersatzlose Abriss der Brücke und ihre Verschrottung geplant. Just zu diesem Zeitpunkt ergab es sich, dass für die vorgesehene Saalequerung bei der Gaststätte Fischhaus, gelegen zwischen Naumburg/Saale und Bad Kösen, eine Brücke benötigt wurde. So kam es durch glückliche Umstände dazu, dass der Michendorfer Fußgängerbrücke der Weg zum Schrottplatz erspart blieb und sie stattdessen heute die nördlich der Saale gelegenen Weinberge mit dem Naumburger Ortsteil Schulpforte als Flussbrücke verbindet.
Was geschah mit der abgebauten ersten Michendorfer Fußgängerbrücke? |
1 Der Abzweig Leipzig trägt heute die Bezeichnung AD Potsdam. 2 Der Abzweig Drewitz trägt heute die Bezeichnung AD Nuthetal. 3 Mielke, H.-J.: Die Autobahn Berlin - Helmstedt | Über 160 km Langeweile?, Dietrich Reimer Verlag, 1984, Abb. 10 S. 111. |
Schrifttum, Informationen, Karten
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H. Schneider, H.-W. Schmidt und R. Arndt, 2011 |