ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

Asphalt, Beton & Stein | Autobahnen & Fernstraßen

BAB A7: Der Kampf um die Trasse
Vor 40 Jahren wurde die BAB 7 in Illertissen für den Verkehr freigegeben.

Bereits in den 50er Jahren zeichnete sich ab, dass die Streckenführung der B 19 nicht mehr den Anforderungen des ständig wachsenden Verkehrs entspricht. In einem Artikel der Illertisser Zeitung (IZ) heißt es: "Der Ausbau der Todesstraße B 19 ist unbedingt erforderlich" (IZ 24.08.1956). Es hatte sich im August 1956 bei der Brücklesmühle in Vöhringen ein schweres Busunglück ereignet, bei dem sieben holländische Touristen tödlich verunglückten.

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Titel eines Artikels in der Illertisser Zeitung vom 2. März 1963

Schließlich erkennt München den Notstand auf der B 19 an und stimmt für einen grundlegenden Um- und Ausbau der Straße. Auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Hermann Ospald hat die Oberste Baubehörde in München für unseren Bereich Folgendes geplant: Vöhringen soll im Westen (an der Iller) umgangen werden, allerdings hat die Gemeinde den Wunsch geäußert, die Ortschaft im Osten zu umgehen. Die folgenden Orte Bellenberg, Illertissen, Untereichen und Altenstadt werden umfahren, wobei die Trasse der neuen Straße zwischen der Bahnlinie Ulm-Kempten und dem Illerkanal geführt wird. Bei Filzingen überquert die geplante neue Straße die Bahnlinie und erreicht dann die bestehende B 19.

Damit waren die Bauern keineswegs einverstanden: Sie gründeten 1962 die "Interessengemeinschaft Bundesschnellstraße 19 Illertissen" (IZ 10.03.1962). Ihre Forderung ist, dass die neue Straße ins Illergries (Auenlandschaft mit Buschwerk und Mischwald an der Iller) verlegt werden solle, damit nicht wertvolles Bauernland durchschnitten wird und verschiedene landwirtschafliche Betriebe gefährdet seien. BBV-Kreisobmann (Bayerischer Bauernverband) sagte: "Wenn wir zusammenstehen, wird es uns gelingen, die Schnellstraße an die Iller heranzubringen." Die Behörden gaben zu bedenken, dass in der Nähe von Flüssen starker Nebel und Glatteisgefahr herrschen. Bemerkenswert ist, dass damals der Gedanke des Schutzes der Flusslandschaft anscheinend keine Rolle gespielt hat.

Die Bauern brauchten nicht "zusammenstehen", denn im Oktober 1963 machte der Bundesminister für Verkehr, Christoph Seebohm, einen sensationellen Vorschlag: Er regte an, statt die B 19 auf bayerischem Gebiet und die B 30 in Württemberg durch Umgehungsstraßen auszubauen und zu verbessern, eine Autobahn von Ulm nach Memmingen zu erstellen. Sofort ging es um die Frage. "Autobahntrasse links oder rechts der Iller?" Da auch Württemberg großes Interesse an der Autobahn hatte, musste zuerst eine Übereinkunft zwischen Bayern und dem Nachbarland hergestellt werden. Dort hatte man gehofft, eine Trasse zu errichten, die von Ulm an Biberach und Bad Waldsee vorbei zwischen Ravensburg und Wangen an den Bodensee führt (Schwäbische Zeitung 09. 05. 1964). Auch im Landkreis Illertissen wollte man unbedingt die Schnellstraße: "Auf keinen Fall dürfe man", so sagte Landrat Dr. Wagner, die "Autobahn" aus dem Kreis Illertissen ‚rauslassen’ (IZ 14.12.1963). Da der Verkehrsminister nur einen "gemeinsamen Vorschlag entgegennehmen" werde (Schwäbische Donauzeitung, 02.04.1964) musste man sich einigen. Ergebnis: Die Autobahn beginnt östlich von Neu-Ulm auf bayerischer Seite entlang der Iller und wechselt bei Kellmünz nach Württemberg. Stuttgart hat nachgegeben, weil die Gegend um Ravensburg ein Erholungsgebiet sei und die Besitzer riesiger Waldgebiete massive Einwände gemacht hätten.

Damit beginnt eine neue Auseinandersetzung: Es wird davon gesprochen, dass eventuell auf den Höhen zwischen Illertal und Rothtal gebaut werden soll. Die Rothtalgemeinden melden erhebliche Bedenken an und geben weiterin einer Trassierung im Illergries oder im westlichen Illertal den Vorzug (IZ,22.05.1964). Es folgt die Gründung einer eigenen Interessengemeinschaft Rothttal, da die Interessengemeinschaft B 19 Illertissen die Führung einer Autobahn mit 4 Fahrspuren durch das Illergries ablehnt. "Die Grundstückseigentümer sehen nicht ein, dass hier 'wertvollstes landwirtschafliches Eigentum' zerschnitten wird, während auf der anderen Seite das Gebiet wie das Illergries nicht angetastet wird." Am 09.12.1964 fand eine "Tagfahrt" mit Behördenvertretern und der Interessengemeinschaft mit Vorsitzendem Valentin Mayer (Bürgermeister von Jedesheim) statt. Die Vertreter des Straßenneubauamts wiesen auf die Schwierigkeiten einer Trassenführung entlang der Iller hin: Wasserschutzgebiete, "Kaltluftseen", ....starke Bebauung, Wasserdruck von ‚unten’. Dem Wielandwerk, dem größten Industrieunternehmen im Landkreis mit jetzt 2800 Beschäftigten können nicht die einzigen Erweiterungsmöglichkeiten genommen werden. Außerdem ließen die Hochspannungmasten eine Straßen-Trassierung nicht mehr zu (IZ 12.12.1964).

Der Vorsitzende, Valentin Mayer, sagte: "Niemand verkenne die Notwendigkeit einer Entlastung der alten B 19. Die Interessengemeinschaft könne aber nicht ruhen in ihrem Bemühen, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um doch wertvollen Grund und Boden zu erhalten. Unter der Überschrift "Autobahnbau Ulm – Memmingen gesichert" wurde auf einer Sitzung der Allgäuer Planungsgemeinschaft mitgeteilt, "dass die Schnellstraße zwischen Ulm und Kempten in den nächsten Jahren gebaut wird, und zwar nicht als Bundesfernstraße, sondern als Autobahn. 100 Millionen DM hat das Bundesverkehrsministerium als Entwurf eingesetzt, die auch der Bundesfinanzminister genehmigt hat" (IZ 25.11.1965). Auf dieser Veranstaltung fasste der Leiter des Straßenneubauamtes, Oberbaurat Ludwig Orner, die Trassierungsprobleme und Möglichkeiten zusammen: "Der Wermutstropfen im Freudenbecher des baldigen Baus der Autobahn sind die Schwierigkeiten , die von den Bauern im Raum Illertissen ausgehen. Sie haben sich zu einem Interessenverband zusammengeschlossen, attackieren das Straßenneubauamt und seinen Leiter und fordern eine Verlegung der Trasse weiter nach Osten nach dem Motto. ‚Autobahn ja, aber nicht auf meinem Grund’."

Die Interessengemeinschaft erarbeitete eine eigene Trassenführung, die sog. "grüne Trasse" weiter östlich im Rothtal, weil dadurch wertvolle Böden geschont würden und die Autobahn entlang der Gemarkungsgrenzen verläuft (I ,08.12. 1965). Für Tiefenbach kommt z. B. hinzu, dass durch diese, auch "Bauerntrasse" genannt, die Bebauungsmöglichkeit im Westen nicht einschränkt und somit die Planungen des Schulverbandes nicht behindert würden. (Belinshausen und Tiefenbach planten eine Verbandsschule zwischen den beiden Orten in diesem Bereich).

Der Minister verwies zuerst auf die europäische Bedeutung dieses Teilstücks: Der Autobahnbau zwischen Ulm und Memmingen sei als eine europäische Aufgabe zu betrachten. Durch örtliche Probleme dürfe das Ganze nicht aus dem Auge verloren werden. Dr. Neger vom Verkehrsministerium stellte besonders heraus, dass auf der Strecke Ulm – Memmingen eine "vollwertige Autobahn" gebaut werde, die das Illertal an die "große Welt" anschließe. Dass dieser "weltweite Autobahnanschluß" nun verwirklicht werde, sei nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz des Verkehrsministers zu verdanken. Der Leiter des Straßenneubauamts, Oberregierungsbaurat Ludwig Orner, verteidigte die so genannte an den Rothtal-Höhen entlang führende "rote Trasse". "Sie entlaste die B 19 am meisten. Die von der IG vorgeschlagene ‚grüne Trasse’ schaffe dies nicht, biete auch sonst große Schwierigkeiten und fordere Mehrkosten. [...] Dazu komme noch die zusätzliche Belastung durch Glatteis und Nebel. Nach wie vor müsse die Straßenbauverwaltung die ‚rote Trasse’ fordern, zumal die ‚grüne Trasse’ auch 2,5 Kilometer länger sei (IZ 20.12.1965)."

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Titel eines Artikels in der Illertisser Zeitung vom 30. Dezember 1967

Die weiteren Teilnehmer drängten vor allem darauf, dass die Autobahn möglichst bald komme, viele votierten für die "grüne Trasse" sofern sie durchführbar sei, so auch die beiden Landräte Dr. Wagner und Dr. Rauth. Stadtrat Gottfried Kölbl sprach für die Benutzer der B 19, die täglich das "lebensgefährliche Abenteuer" einer Fahrt nach Ulm oder Neu-Ulm auf sich nähmen (IZ, 20.12.1965).

Karte

Legende zur Skizze
Haupttrasse:   in der Karte rot durchgehend eingezeichnete Straßenführung nach dem Plan des Straßenneubauamts Kempten
Wahltrasse: rot gestrichelt eingezeichnete Straßenführung nach dem Plan des Straßenneubauamts Kempten
Grüne Trasse:   von der Interessengemeinschaft B 19 Landwirtschaft vorgeschlagene Straßenführung

Am 18. Dezember 1965 war es dann soweit: Der Bundesverkehrsminister Dr. Hans Christoph Seebohm mit großem Gefolge, die Spitzen der Landkreise von Neu-Ulm und Illertissen, die Vertreter der Fraktionen und die Interessengemeinschaft Bundesstraße Ulm – Memmingen mit ihrem Vorsitzenden Valentin Mayer diskutierten im Bräuhausaal Illertissen die Situation. Valentin Mayer bemerkte später in seinen historischen Aufzeichnungen ein Wort des Ministers: "Noch kein Landwirt hat erreicht, dass der Bundesverkehrsminister zu einer Anhörung kommt." Seine Antwort: "Wenn Sie die Planung nicht ändern, hätten sie gar nicht kommen brauchen." Abschließend betonte der Minister die Gesamtverantwortung, dass "den Interessen der 550 Landwirte die Interessen allein von 45 000 Einwohnern des Landkreises Illertissen entgegenstünden."

Die Interessengemeinschaft gibt sich jedoch noch nicht geschlagen. Ihr Rechtsanwalt, Friedrich Mudrack, unterstellt dem Straßenbauneuamt Kempten, dass der Minister nur einseitig unterrichtet worden wäre. Unterstützt von den Landwirtschaftsämtern Weißenhorn und Babenhausen, weist er darauf hin, dass die "von den Bauern vorgeschlagene und technisch mögliche Osttrasse wesentlich weniger Nachteile als die vom Straßenneubauamt Kempten vorgeschlagene Westtrasse mit sich bringt."

Im Juni 1966 wird das Raumordnungsverfahren eingeleitet. Die Vertreter des Straßen-Neubauamtes lehnen aus straßenbautechnischen Schwierigkeiten wie auch aus verkehrswirtschaftlichen Gründen die grüne Trasse ab: "Sie ist zu weit vom industrialisierten Illertal entfernt, so daß eine Entlastung der B 19 nicht eintritt." Bürgermeister Valentin Mayer erklärte auf einer Versammlung im Januar 1968 (IZ, 5.1.68), dass sich die Industriegemeinden Vöhringen, Illertissen und Altenstadt gegen die grüne Trasse gewehrt hätten. "Ihre Interessen seien höher bewertet worden als die der Landwirtschaft." Damit war der Kampf um die Trasse vorbei.

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Titel eines Artikels in der Illertisser Zeitung vom 18. November 1972

1976 wurde das Teilstück Altenstadt – Illertissen fertig, Das bedeutete freie Fahrt von Illertissen bis Memmingen. 1977 schließlich war die Strecke von Ulm bis Memmingen durchgehend befahrbar. Die IZ schrieb: "Rechtzeitig vor den Osterfeiertagen: Freie Fahrt in den sonnigen Süden" (IZ 07.04.1977). Die untragbaren Zustände in den Orten an der B 19 hatten damit ein Ende gefunden, die Bevölkerung konnte aufatmen. Allerdings mussten die Gaststätten und Tankstellen Verluste beklagen.

Nach 40 Jahren soll nun wegen des hohen Verkehrsaufkommens die Autobahn von Ulm bis Memmingen auf sechs Spuren erweitert werden.

Hans Ranker, Illertissen-Tiefenbach