ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

Asphalt, Beton & Stein | Straßen & Strecken

1913: Die Versuchsstraße bei Almrich

Zu Beginn des 20. Jahrhundert hatte der Antrieb von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor so zugenommen, dass sich die Beschaffenheit der Straßen und insbesondere ihrer staubigen Oberflächen als ernsthaftes Hinderniss für die weitere Entwicklung und Nutzung der Kraftfahrzeuge erwies. Damit die Straßenverkehrswege künftig den an sie gestellten Anforderungen entsprechen, schlossen sich in Deutschland, aber auch im europäischen Ausland Vertreter der Öffentlichen Hand bzw. Straßenbauunternehmen zu Interessenverbänden zusammen. Ziele solcher Vereinigungen waren die Verbesserung von Ortsverbindungen, das Erschließen sog. "weißer Flecken", also bisher schlecht erreichbarer Städte und Dörfer, aber auch das Entwickeln wissenschaftlich-technischer Grundlagen neuzeitlichen Straßenbaus. Schon die Entwicklung von Binnenschifffahrt und Eisenbahnwesen hatte gezeigt: Wenn erst einmal die "Kinderkrankheiten" des neuen Verkehrsmittels überwunden sind, steigen auch Masse und Gewicht möglicher Zuladung und damit auch die Belastung für die Fahrbahnen.

Wichtiges Mittel, um Straßen und ihre Teile wie Unterbau und Belag zu testen, war die Anlage von Versuchsstrecken für umfangreiche Tests auf unterschiedliche Belastungen. Solche teils kürzere, teils längere Straßenstücke wurden in vielen deutschen Länder gebaut. Am bekanntesten ist wohl die ab 1909 geplante und 1921 eingeweihte AVUS. In Bayern diente die Tegernseeer Landstraße von München aus als 18 km lange Versuchsstraße für unterschiedlichstes Fahrbahndeckenmaterial. Württemberg hatte seit 1914 zwischen Degerloch bei Stuttgart und Echterdingen eine Versuchsstraße. Weitere Versuchsstraßen gab es von München aus, bei Gelsenkirchen, Waßmannsdorf (Kreis Teltow), Wiesbaden, Groß-Salza bei Magdeburg sowie bei Barby. In Niederösterreich betrieb die Bundesstraßenverwaltung eine Versuchsstraße bei Traiskirchen.

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Bild 1: Lageplan der Versuchsstraße des Deutschen Straßenbauverbandes bei Braunschweig
Quelle: Die Betonstraße, 3. Jahrg. (1928), Heft 5, S. 134

Auch nahe des heute zur Stadt Naumburg (Saale) gehörenden Dorfes Altenburg (im Volksmund stets nur Almrich genannt) gab es ein 500 m langes Stück Versuchsstraße. Mit ihr sollten Kenntnisse über den Einsatz von Steinkohlenteer als neuartigem Straßenbaumaterial gewonnen werden.

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Bild 2: Der Straßenabschnitt zwischen Altenburg (Almrich) und Schulpforta.
Ausschnitt aus der Panoramakarte "Das Reise und Erholungsgebiet Naumburg-Saale / Bad Kösen / Freyburg-Unstrut im mitteldeutschen Burgenland", Verkehrsverein Naumburg Saale e.V. (Hrsg.), (1938/39), M 1:30000, F. Bruckmann KG. – Verlagsanstalt Max Wittkop GmbH, München

Im Jahre 1913 erhielt der Naumburger Straßenmeister Leo Petzelt von der Straßenverwaltung der Provinz Sachsen den Auftrag, auf einem ca. 500 m langen Straßenstück zwischen dem Ortsausgang von Altenburg (Almrich) und Schulpforta, zum Erreichen einer glatten, staubfreien Fahrbahnoberfläche, eine Tränkung mit Teer vorzunehmen. Zur Erinnerung an diese erstmalige Anwendung des Teerinnentränkverfahrens kündete seither eine kleine Tafel, ca. 30 m hinter dem Ortsausgangsschild aufgestellt, über diesen Sachverhalt. Jahrzehnte stand die Tafel an ihrem Platz, bis sie eines Tages von aufmerksamen Bürgern vermisst wurde. Diese Bürger wandten sich an die Naumburger Tageszeitung LDZ (abgek. für Liberal-Demokratische Zeitung), ein Organ der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands in der DDR. Dort erschien wenig später der nachfolgend wiedergegebene Artikel:

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Bild 3: Artikel in der LDZ im April 1967. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Uwe Wenzel, Verein der Heimatfreunde Altenburg an der Saale e.V.

Ob sich im Jahre 1967 ein Handwerksbetrieb fand, die Tafel wieder herzurichten und aufzustellen, ist heute nicht mehr festzustellen.

Viele Jahre später, 2009, fragte der Heimathistoriker und Mitgründer des Vereins der Heimatfreunde Altenburg an der Saale e.V., Uwe Wenzel, durch Veröffentlichung eines Beitrags im Naumburger Tageblatt die Öffentlichkeit an, ob jemand etwas über den Weg und Verbleib der Tafel weiß. Leider erhielt er bis zum heutigen Tag keine Antwort darauf.
 

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Bild 4: Artikel im Naumburger Tageblatt vom 28. November 2009.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Uwe Wenzel.

Mit Beginn des Sommers 2013 begann im Bereich, der einstmals als Versuchsstraßenstück diente, ein Umbau durch Beseitigung der dort vorhandenen Doppelkurve ("S-Kurve"), die trotz Geschwindigkeitsbeschränkung einen Unfallschwerpunkt bildete. Dieser Straßenumbau war für Uwe Wenzel Anlass, seine Fragen von 2009 durch eine weitere Anfrage an die Bevölkerung über das Naumburger Tageblatt zu erneuern.

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Bild 5: Anfrage im Naumburger Tageblatt vom 17. September 2013.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Uwe Wenzel.

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Bilder 6 + 7: Die Doppelkurve am Ortsausgang von Naumburg vor der Begradigung. Von Km 52,9 bis Km 53,4 erfolgte 1913 die Teerinnentränkung des Versuchsbereichs. Der Pfeil zeigt den ungefähren Standort der historischen Tafel. Fotos: H. Schneider, April/2013
 
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Bild 8: Die begradigte B87 zwischen Almrich und Schulpforta.
Foto: Uwe Wenzel, 3. August 2013.

 

"Kilometer 52,9 - Kilometer 53,4 Erster, bereits 1913 ausgeführter Versuch der Straßenbauverwaltung der Provinz Sachsen, durch Teerinnentränkung eine gute und dabei wirtschaftliche Fahrbahndecke herzustellen. Die aus deutschem Ruhrteer getränkte Strecke wird noch jahrelang lebensfähig bleiben, obwohl ihre Herstellung bei dem Mangel an Erfahrung noch unvollkommen war."

Ob es positive Antworten auf die Fragen gibt, ob die Tafel nach so vielen Jahren wieder gefunden wird?

H. Schneider, Naumburg (Saale), 9/2013

 

Nadel Naumburg-Almrich Eine Webseite von Uwe Wenzel (Naumburg-Almrich)