ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

Geschichte & Verwaltung | Historie & Gegenwart

Dessau (Sachsen-Anhalt) und seine Rennstrecken

Die Dessauer Renn- und Rekordstrecke der 1930er Jahre

Die den Bereich Dessau behandelnde Literatur beschreibt die Rennstrecke, wenngleich der Zeitraum zur Nutzung bei Rennen und für das Erzielen von Rekorden ab dem 9. Februar 1939 nur ein sehr kurzer war.

  • Bei Hafen1 werden mehrere zeitgenössische Schriftquellen genannt, in denen ausführlich auf den Bau und die Bedeutung der Dessauer Renn- und Rekordstrecke eingegangen wird.
  • Ausführlich schildert Marx2 in der Tageszeitung 'Anhalter Anzeiger' vom 8. Februar 1939 während des Absteckens der Trasse vorgenomene Änderungen. Sie führten zu einer Durchschneidung des Ortes Thurland von seinem 1936 eingemeindeten Ortsteil Kleinleipzig. Dabei war in den 1930er Jahren die Streckenführung durch eine Ortschaft nicht selten; gab es doch vielerortes eine gewisse Euphorie, wenn der Ort mit der naheliegenden Reichsautobahn "aufgewertet" wurde. Aus dem Bereich der Strecke 59 Frankfurt (Oder) - Bentschen ist eine Postkarte bekannt, auf der eine Ortschaft mit dem Zusatz "... an der Reichsautobahn" warb, obwohl es dort infolge des Zweiten Weltkrieg niemals zum Bau der Strecke kam. Die Strecke 77 durchschnitt nach ihrem Abzweig zwischen Rhynern und Hamm den Ort Süddinker, wo bis vor einigen Jahren noch mehrere Widerlager für Ortsstraßen überführende Brücken vorhanden waren.
  • Milke3 schildert auf zwei Seiten die sächsisch-anhaltische Ebene im Bereich der Autobahn und geht dabei ausführlich auf Rekordfahrten und Rennen vor, aber auch nach 1945 ein.
Renn- und Rekordstrecke 1939
Ausschnitt aus einer Handkarte von Anhalt (o. Dtm.). Sie zeigt die Strecke 66 und abzweigend, etwa bei der Überführung der Eisenbahnstrecke Dessau - Bitterfeld, die geplante "Südharzlinie (Strecken-Nr. unbek.). Südlich des vorgesehenen Autobahndreiecks befindet sich das nördliche Ende der bis zur Überführung der Bahnstrecke Zörbig - Bitterfeld reichenden, 14, 25 km lange Rekordstrecke. [Sign. W802001]

Beim Bau der Rennstrecke wurde alles, was auf der bisher genutzten Strecke bei Langen-Mörfelden (Strecke 34) negative Einflüsse auf Rekordfahrten ausübte und bei dem schweren Unfall von Bernd Rosemeyer am 28. Januar 1938 gar ein Todesopfer gekostet hatte berücksichtigt: Die Trasse war rechts und links frei von Bewuchs. Eventuell aufkommender Wind konnte ungehindert und ohne durch Baulichkeiten oder Erdaufhäufungen beeinflusst zu werden über die Fahrbahn streifen. Emil Molt von der OBR Halle/Saale schreibt in seinem Aufsatz "Vom Fläming nach Schkeuditz", veröffentlicht in der Monatszeitschrift DIE STRASSE, 5. Jg. (1938), Heft 23, 1. Dezemberheft, S. 747-749:

"Weiterhin sind die Straßenbrücken über die Rekordstrecke bei Dessau besonders erwähnenswert. Es wurden stählerne, geschweißte Zweigelenkbogenbrücken mit Leichtfahrbahnplatte und einer Spannweite von 46 m gewählt, um die Fahrbahn der Rekordstrecke nicht durch Zwischenpfeiler einzuengen. Von vier Überführungen auf der Rekordstrecke liegen nur zwei in der 9 km langen Geraden, und zwar je eine am Anfang und am Ende, so daß auf 7 km Länge keine Überführungen vorhanden sind. Die rund 14 km lange Rekordstrecke mit einer Gesamtbreite von 32 m liegt zwischen Dessau und Bitterfeld und beginnt bei Betriebskilometer 80,4 und endet bei 94,4. Mit Rücksicht auf die hohe Geschwindigkeit der Rennwagen bei Rekordfahrten und die hierdurch erforderliche größere Gesamtbreite der Rekordstrecke wurde der Grünstreifen auf 9 m auseinandergezogen und ebenfalls betoniert, außerdem sind die sonst 7,50 m breiten beiderseitigen Fahrbahnen auf 9 m verbreitert worden, so daß eine Gesamtfahrbahn von 27 m Breite entstand, zu der zu beiden Seiten je 1 m breite befestigte Bankette treten. Der mittlere Streifen von 9 m ist durch Zusatz von Ruß dunkel eingefärbt, um dem Rennfahrer die Richtung besser zu kennzeichnen."

Brücke
Eine der vier originalen Bogenbrücken: Überführung der B183 über die BAB A9 im Bereich der AS Nr. 12 Bitterfeld/Wolfen.
Foto: H. Schneider, 6/2012

Für den normalen Kraftverkehr erfolgte eine Abtrennung der mittleren Fahrbahn, die eigentliche Rekordbahn, durch mobile Richtungspfähle, sodass die beiden Richtungsfahrbahnen für die Allgemeinheit klar erkennbar waren.

Die erste Veranstaltung zur Erzielung neuer Rekorde für Kraftfahrzeuge fand auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke an den Tagen 8. und 9. Februar 1939 statt. Von ihr sind die meisten der im Umlauf befindlichen Bilddokumente bekannt. Aufsehen erregte der Hanomag Diesel mit 1,9 Litern Hubraum, mit dem vier Weltrekorde aufgestellt und damit die Eignung des Dieselmotors auch für PKW demonstriert wurde4. Neben anderen Höchstleistungen erreichte Rudolf Caracciola (* 30. Januar 1901, Remagen; † 28. September 1959, Kassel) am 9. Februar morgens mit seinem Mercedes-Benz bei fliegendem Start über eine Meile eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 398,2 km/h.3

Ein im Internet einsehbarer historischer Filmstreifen vom 9. Februar 1939 mit dem Titel "1938 Land Speed Trial Caracciola for Mercedes-Benz" enthält Bilder mit den auf der Dessauer Rekordstrecke erzielten Rekorden.

Geschwindigkeitsrekorde 1939 (1)
 
Geschwindigkeitsrekorde 1939 (2)
Beschnittene Screenshots mit den internationalen Weltrekorden. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=i5Ac5YVHsbk. Zugriff: 18.08.2020

Im Verlauf des Jahres 1939 fanden auf der Rekordstrecke nicht nur Rekordversuche mit Beteiligung deutscher Rennfahrer statt. Im Heft 1, 1. Jg., Juni 1939 veröffentlicht die Monatsschrift "Der RAB-Straßenmeister - Mitteilungen für die Arbeitskameraden der Reichsautobahn-Straßenmeistereien" auf den Seiten 9 und 10 einen Bericht mit dem Titel "Wir waren dabei" - Einsatz der Straßenmeisterei Dessau auf der Rekordstrecke" [Sign. F027005]. Der Autor des Aufsatzes, Straßenmeister David, schildert darin die Rekordfahrt des Engländers Gardner5 auf der Dessauer Strecke. Mitarbeiter der Straßenmeisterei "verwandeln in nächtlicher Stunde" die Anschlussstelle Dessau-Süd in einen Startplatz für die vorgesehenen Rekordfahrten, bauen die Messeinrichtungen auf und sperren die Bahn für den regulären Verkehr. Nachdem am Morgen Abteilungen der motorisierten Gendarmerie, der Ordnungspolizei, des NSKK u. a. eingetroffen und auch die Pressevertreter zur Stelle sind, bringt ein geschlossener Lastwagen den grünen Rekordwagen des englischen Majors zur Startstelle. Während noch die Mechaniker den Wagen startklar machen, sichern Absperrmannschaften die gesamte Rekordstrecke. Die ganze Aktion dauert etwa eine Stunde, dann wird die Strecke "dem Verkehr des Alltags wieder freigegeben" und "nach kurzer Zeit flutet der Verkehr wieder in der gewohnten Weise dahin."


Quellen- und Literaturnachweis: (Angabe [Sign. xxx]: Signatur der Archivale im ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE)

1 Hafen, Paul: Das Schrifttum über die deutschen Autobahnen. Ferd. Dümmlers Verlag, Bonn-Hannover-Stuttgart, 1956 [Sign. B017416]. Darin:

*** Kampf-, Trainings- und Versuchsbahn im Zuge der Reichsautobahn.
*** Rekordstrecke zwischen den AS Bitterfeld und Dessau-Süd der RAB Berlin - München.
Molt, E.: RAB Berliner Ring - Fläming - Leipzig/Halle: Von Fläming nach Schkeuditz. [Sign. S017532]
*** Reichsautobahn Berlin - München.
*** Reichsautobahn Berlin - Leipzig — Ihre Fertigstellung.
*** Eröffnung einer wichtigen Teilstrecke der Reichsautobahn.
*** Rekordstrecke Dessau - Bitterfeld fertiggestellt.
König, H. A.: Die ersten Rekordleistungen auf der Rekordstrecke bei Dessau.
Gubler, Th.: Autobahnen.
2 Marx, Franz: Als die Rekordstrecke noch keine war. In: Anhalter Anzeiger, 8. Februar 1039 [Sign. Aaz-1939-02-08]
 
3 Milke, Hans-Jürgen: Die Autobahn Berlin - Hirschberg/Hof in Geschichte und Gegenwart [Sign. B017503]
 
4 Quelle: https://www.leo-magazin.com/artikel/2019/mai/2-historische-rekordwoche.html. Zugriff: 18.08.2020
 
5 Gardner, Alfred Thomas Goldie, * 31.05.1890, New England; † 25.08.1958 daselbst. Quelle: https://en.wikipedia.org/, Zugriff: 21.08.2020. Über die im Beitrag behandelte Dessauer Rekordfahrt schreibt die englischsprachige Wikipedia-Webseite:
"On 31 May 1939 just before the outbreak of World War II driving his special engineered MG, in Dessau, Germany, on the Dessauer Rennstrecke, now Bundesautobahn 9, Goldie Gardner took the 750cc up to 1,100cc class records over 2 kilometres, 1 mile, and 5 kilometres distances, at average speeds of 203.5 mph, 203.3 mph and 197.5 mph respectively. After an overnight engine rebore, on 2 June 1939 at the same venue he gained the 1,100cc to 1,500cc class records over the same distances at average speeds of 204.3 mph, 203.9 mph and 200.6 mph."
und als Text der Übersetzung in die deutsche Sprache:
"Am 31. Mai 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, fuhr Goldie Gardner in Dessau auf der Dessauer Rennstrecke, heute Bundesautobahn 9,die 750ccm bis 1.100ccm-Klassenrekorde über 2 Kilometer, 1 Meile und 5 Kilometer, mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 203,5 mph, 203,3 mph bzw. 197,5 mph. Juni 1939 am selben Ort gewann er die Rekorde der Klasse von 1.100ccm bis 1.500ccm über die gleichen Distanzen bei Durchschnittsgeschwindigkeiten von 204,3 mph, 203,9 mph und 200,6 mph."


Dessau an der ehem. Strecke 66, heutigen BAB A9
 
Die Dessauer Rennstrecke ab 1949